4. Juni 2012

Der ROI von Enterprise 2.0

Heute gibt es nach längerer Zeit wieder einen Blog-Post zur Erfolgsmessung (vgl. auch "Zur Erfolgsmessung im Enterprise 2.0. Start der Diskussion", "Enterprise 2.0: Fortsetzung der Nutzendiskussion" und  "Erfolgsmessung von Social Media") von und im Enterprise 2.0, sowie zum Wertbeitrag von Informations- und Kommunikationstechnologie. Der Beitrag ist schon länger als Draft in Blogger verfügbar - doch heute ist auch die richtige Zeit, um diesen zu veröffentlichen.

Ich möchte diese Problematik der Einführung, Erfolgsmessung und Beratung von Enterprise 2.0, soweit ich sie vermute zu verstehen, mit dem einfachen Beispiel eines Schraubenziehers vergleichen - und mit diesem Beitrag durchaus etwas provokant die aktuell stattfindende Diskussion begleiten. Ich freue mich schon jetzt auf zahlreiches kritisches Feedback - bitte bis zum bitteren Ende lesen ;-)

 
Der Nutzen des Schraubenziehers (Szenario 1)

Das Produkt:
Ein Hersteller von Werkzeugen, wie beispielsweise Schraubenzieher, produziert Schraubenzieher je nach Marktsegment, welches er bedienen möchte, in schlechter bis hervorragender Qualität. Schraubenzieher von hervorragender Qualität zeichnen sich beispielsweise dadurch aus, dass sie stabil und handlich sind und in ihrer Nutzung nicht so einfach zerstört werden können. Jene von schlechter Qualität nutzen sich schneller ab und können ihren Dienst nicht mehr erfüllen.

Der Einsatzzweck: Kein Werkzeughersteller weiß vermutlich ganz genau, für welchen Zweck ein Mensch (z.B.: ich) seine Schraubenzieher wirklich einsetzt - na klar, zum Schrauben eben. Doch mit diesen Schraubenziehern kann ich an meinem Motorrad, meinem Auto oder gar an meinem PC arbeiten. Der Werkzeughersteller wird mich infolgedessen auch kaum darin beraten können, was an meinem Motorrad, Auto oder PC nicht stimmt und wie ich das ganze verschrauben soll.Vermutlich ist es dem Werkzeughersteller auch egal, was ich mit seinen Schraubenziehern alles treibe, so lange ich sie kaufe.

Der Nutzen: Der originäre Nutzen aus dem Schraubenzieher ist für mich einfach messbar – denn er ist sehr hoch, wenn es mir gelingt, meine Schrauben erfolgreich zu schrauben und der Schraubenzieher nicht kaputt geht -  und er ist gar nicht vorhanden, wenn es mir eben nicht gelingt. Ich werde nicht auf die Idee kommen, den originären Nutzen des Schraubenziehers daran messen, ob ich durch mein Schrauben den Fehler an meinem Motorrad, Auto und PC beheben kann. Denn ich weiß, der Schraubenzieher ist immer nur Mittel zum Zweck – und er ist vermutlich ein gutes Mittel (und ein Tool).

Der Berater: Nicht jeder ist ein guter Handwerker: Doch um einen Schraubenzieher zu bedienen muss man schon einiges über handwerkliche Tätigkeiten wissen, beispielsweise in welche Richtung man diesen dreht, wie man ihn hält und für welche Schrauben er geeignet ist. Ich frage daher mal einen Freund als Berater, da dieser ein höheres handwerkliches Geschick hat als ich (wenn Akademiker schrauben, stellt man am besten schon mal einen Sanitäter dazu ;-) ).
Mein Berater hat mit dann erklärt, wie ich den Schraubenzieher angreife und wie ich ihn am besten für welche Schrauben verwende. Doch auch mein beratender Freund weiß leider ad-hoc nicht genau, wo das Problem bei meinem Motorrad, Auto bzw. PC liegt (denn er ist kein Motorrad-, Auto, bzw. PC-Experte). Seine Fehlerdiagnose würde somit länger dauern, doch er hat generell wenig Zeit - und ich habe auch leider auch kein Budget um ihm seine Zeit zu versüßen. Hingegen hat mir mein Freund rasch erklären können, was ein guter Schraubenzieher ist, bei welchem Heimwerkermarkt ich einen solchen kaufen kann und welche Eigenschaften ein Qualitäts-Schraubenzieher eben haben muss. Den Rest muss ich wohl selbst ausprobieren…

Der Nutzen von „Enterprise 2.0 Suites“ – umfassende Kommunikations- und Kollaborationsplattformen (Szenario 2)

Das Produkt: Ein Hersteller von „Enterprise 2.0 Suites“ produziert „Enterprise 2.0 Suites“ sprich Kommunikations- und Kollaborationsplattformen. „Enterprise 2.0 Suites“ in hervorragender Qualität zeichnen sich durch hohe Stabilität, viel Funktionalität und trotzdem gute Bedienbarkeit (Usability) aus. Vermutlich verfügen besonders gute Lösungen über wahnsinnig viel mehr Funktionalität als andere und lassen sich für alle möglichen Einsatzbereiche im Unternehmen und auch außerhalb verwenden. Unternehmen können „Enterprise 2.0 Suites“ wie ein einfaches Werkzeug  unternehmensweit, im Service, im Vertrieb, im HR … einsetzen - und sie sollen dort Kommunikations- und Kollaborationsprobleme lösen.

Der Einsatzzweck: Der Hersteller von „Enterprise 2.0 Suites“ wird das Unternehmen wohl kaum speziell darüber beraten können, wie es diese am besten unternehmensweit, im Service, im Vertrieb, in HR … einsetzt, denn er kennt die spezifischen Informations-, Kommunikations-, und Kollaborationsprobleme aus den einzelnen Unternehmensbereichen gar nicht - und kann diese daher auch nicht lösen. Der Hersteller liefert lediglich ein generisches Werkzeug einer bestimmten Systemkategorie zur Lösung generischer Kommunikations- und Kollaborationsprobleme. Der Hersteller kennt womöglich die prinzipiellen Kommunikations- und Kollaborationsprobleme, wie sie in jedem Unternehmen an der Tagesordnung sind (mangelnde Kommunikation zwischen Abteilungen, geschlossene Kommunikation zwischen Mitarbeitern, schlechter Wissensaustausch, mangelnde Dokumentation von Wissen, …) und kann dazu Funktionalitäten zur Verfügung stellen. Doch die Detailprobleme sind unternehmensindividuell und daher dem Hersteller völlig unbekannt.

Der Nutzen: Um den Nutzen aus dem Einsatz einer „Enterprise 2.0 Suite“ zu messen, hat der Hersteller umfangreiche Statistiken und Analysen implementiert. Diese orientieren sich generellen Kommunikationsproblemen, denn eine andere Orientierung ist dem Hersteller aus den oben genannten Gründen nicht möglich. Mit solchen Statistiken lassen sich originäre Parameter wie die Anzahl der Seitenaufrufe, Beiträge, Vernetzungen, … sehr einfach messen. Eine Auswirkung auf die Leistungskennzahlen des gesamten Unternehmens (KPIs), des Service, des Vertrieb, des HR, … kann der Hersteller nicht messen, da er diese Leistungszahlen nicht kennt, sie daher auch nicht bei der Entwicklung der Enterprise-2.0-Suite berücksichtigen konnte und auch nicht weiß, wie genau sie berechnet werden. Außerdem ist ihm (wie vielen anderen auch) nicht klar, wie stark Kommunikation und Kollaboration solche Leistungskennzahlen überhaupt beeinflussen. Diese Leistungskennzahlen kennen hoffentlich die Manager aus den jeweiligen Unternehmen - doch den Managern ist vermutlich der Bezug von „Enterprise 2.0 Suites“ zur Verbesserung dieser Kennzahlen gar nicht klar.

Zur Erklärung: Aus den obigen Aussagen soll schon einmal klar werden, dass eine originäre Nutzenargumentation für eine „Enterprise 2.0 Suite“ erstmals immer aus der Sicht originärer Kennzahlen erfolgt (d.h. Anzahl Nutzer, Beiträge, ...), wenn und weil es nicht gelingt, eine Verknüpfung zu den Leistungskennzahlen des Betriebs herzustellen. Vielleicht funktioniert eine solche bei vielen Kennzahlen auch gar nicht. Eine Verknüpfung zu den Leistungskennzahlen herzustellen, erscheint zumindest mir kaum wissenschaftlich robust möglich zu sein, denn Kommunikation und Kollaboration ist niemals das Ziel von etwas, sondern immer nur ein Mittel zum Zweck. Vom Hersteller wird daher auch keine Lösung dazu kommen. Es bleibt somit immer beim Messen der originären Kennzahlen - und der Rest sowie die Implikation auf die Leistungskennzahlen ist pure Interpretation! Vermutlich führt das Abschalten von Kommunikation und Kollaborationslösungen aber zur Verschlechterung dieser Kennzahlen... (aber das ist eine andere Geschichte)

Die großen Softwarehersteller können Unternehmen auch nicht im Sinne einer robusten ROI-Messung beraten, da diese nicht das notwendige Wissen über die individuellen Abläufe in den Unternehmen und die dort relevanten Leistungskennzahlen besitzen. Sie können lediglich die „Enterprise 2.0 Suite“ als Kollaborations-Plattform zur Verfügung stellen und einfache Messindikatoren für die originäre Nutzenmessung einbauen. Doch es gibt Gott sei Dank noch die Berater...

Der Berater: Enterprise-2.0-Berater weisen (hoffentlich ;-) )ein höheres Geschick und eine höhere Objektivität in der Auswahl und Einführung solcher Werkzeuge auf. Diese arbeiten mit den Unternehmen gemeinsam Einsatzbereiche und lange Listen an technische Funktionalitäten aus, welche eine solche Kollaborationssoftware am besten besitzen sollte - und sie unterstützen dann das Unternehmen bei der Lastenhefterstellung, bei der Auswahl geeigneter Enterprise-2.0-Systeme und auch bei der Installation und Einführung derselben.

Doch - und hier wird es aus meiner Sicht wieder kritisch - auch Enterprise-2.0-Berater wissen nicht (ich schwäche mal ab: immer) über die tatsächlich relevanten Leistungskennzahlen im Unternehmen und wie diese berechnet werden Bescheid. Sie versuchen oft auch gar nicht, Unternehmen anhand dieser Kennzahlen und dem möglichen Technologiebeitrag zu beraten. Jene, welche es tun wollten/könnten, scheitern vielleicht daran, dass das Unternehmen für eine nicht-technologische Beratung kein Budget zur Verfügung stellen will, da es diese Kompetenz ohnehin selber in sich vermutet. Es gibt es vielleicht mal den ein oder anderen Beratertag für ein Use-Case-Brainstorming und dafür noch viele, viele Tage für die Unterstützung bei der Erstellung eines Lastenhefts mit langen Listen, damit auch alle notwendigen Funktionalitäten vorhanden sind. Also wird wirklich ein entsprechend dickes Lastenheft erstellt, das die Auswahl erschwert ;-)

Ein Ausblick: Nun wird die ausgewählte „Enterprise 2.0 Suite“ als generische Kommunikationslösung eingeführt - und zuerst einmal in einer kleinen Gruppe pilotiert. Später, wenn alles geforderten Funktionen auch implementiert und funktionstüchtig sind und alle Zugriffsrechte und Rollen entsprechend der Hierarchien im Unternehmen konfiguriert wurden, wird die Lösung unternehmensweit ausgerollt. Doch was passiert nun? Aus irgend einem Grunde beginnen die wenigsten Mitarbeiter, diese Lösung auch zu nutzen. Genau, denn die Kultur passt nicht zur Lösung. Vermutlich liegt es aber eher daran, dass die Lösung schlecht eingeführt wurde und die Mitarbeiter gar nicht wissen, warum und für welchen Zweck sie die Lösung nutzen sollen. Da nur wenige Mitarbeiter im Unternehmen vorhanden sind, die Wissensteilung per se als ultimativen Zweck ansehen, verarmt diese Lösung immer mehr Geisterstadt und wird früher oder später abgeschaltet. Es wird argumentiert, dass die Kultur nicht zur Technologie passt - und niemand trägt die Schuld.

In der Zwischenzeit sind viele Jahre vergangen. Mittlerweile gibt es keine Enterprise 2.0, sondern richtige Future-Business-Lösungen, die die Kommunikation zwischen Kunden und Lieferanten revolutionieren sollen, doch kein Kunde oder Lieferant weiß wie. Wiederum soll eine solche Lösung Im Unternehmen eingeführt werden mit dicken Lastenheften. Auf tiefgreifenden Analysen bezüglich der bestehenden Problematik (welche durch eine solcher Lösung behoben werden könnte), dem konkreten Zweck und Einsatzbereich und der dabei unterstützten Prozesse wird aber verzichtet, denn diese Analyse würde viel zu viel kosten. Das kann das Unternehmen erstens selbst machen, wenn es will - und eine solche Analyse hätte/hat auch in der Vergangenheit nicht viel gebracht, wie die Enterprise 2.0 Einführung gezeigt hat. Statt dessen wird auf die technischen Parameter und das Lastenheft Wert gelegt, um die Auswahl einer geeigneten Lösung zu erleichtern - denn die Technologie lässt sich immer leicht beschreiben. Die neue Lösung wird eingeführt.. und (vielleicht) .. nicht genutzt. Der Rest ist bekannt...

Ein Fazit: 
  • Das Messen des originären Nutzens ist einfach (denn dafür gibt es eingebaute Statistiken), doch der tatsächliche Nutzen im Sinne der Leistungsindikatoren ist schwer (bis vlt. unmöglich) zu messen.
  • Sind den Entscheidern in eines Unternehmen die tatsächlichen (Kommunikations- und Kollaborations-)Probleme nicht klar, dann hilft vermutlich auch keine unternehmensweite Enterprise-2.0-Suite (sie werden diese vermutlich nicht richtig einführen).
  • Sind den Mitarbeitern im Unternehmen die tatsächlichen Probleme nicht verständlich, dann hilft vermutlich auch keine unternehmensweite Kollaborationslösung (sie werden diese vermutlich nicht nutzen bzw. den originären Nutzen gar nicht verstehen).
  • Ein nicht technologisch-fokussierter sondern management-orientierter Berater kann durch eine geeignete Methodik hier unterstützen, doch die Enterprise 2.0 Szene wird von ersteren dominiert. 

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