15. Februar 2012

Die virtuelle Community - was nützt uns Wissen aus dem Jahr 1997?

Wer kann sich noch an die Zeit vor der Dot-Com Blase im Jahr 2000 erinnern? Damals, im Jahr 1997, haben die beiden McKinsey Berater John Hagel und Arthur Armstrong den Bestseller „Net gain: expanding markets through virtual communities“ verfasst. In meinem Blog-Beitrag werde ich heute ein wenig auf Web-1.0-Geschichte eingehen und zeigen, warum Wissen aus dem Jahr 1997 auch heute noch relevant ist.

In ihrem Beitrag beschreiben Hagel und Armstrong, dass virtuelle Communities die Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Kunden revolutionieren werden. Denn Kunden nutzen zunehmend Netzwerke wie das Internet, um sich über Produkte und Dienstleistungen zu informieren (davon reden wir auch heute) – und sie werden mit dem Internet zu Experten im Management von produktspezifischer Information. Durch virtuelle Communities verschiebt sich schließlich die Marktmacht von den Herstellern zu ihren Kunden (davon reden wir ebenfalls auch heute noch). Nur solche Hersteller, welche es schaffen, ihre Kunden in virtuellen Communities zu organisieren, werden belohnt werden (und auch davon sprechen wir heute).

Geschäftsmodelle, welche Virtuelle Communities in das Zentrum rücken, haben sich laut Hagel und Armstrong durch 5 Merkmale ausgezeichnet:
  • „Distinctive Focus“: Virtuelle Communities werden anhand eines bestimmten Fokus identifiziert, damit potentielle Mitglieder schnell erkennen, welchen Typ von Ressourcen sie sich in einer bestimmten virtuellen Community holen können. Dieser Fokus kann geographisch, themenspezifisch, branchenspezifisch oder funktionsspezifisch sein.
  • „Capacity to integrate Content and communication“: Virtuelle Communities stellen eine breite Palette an veröffentlichten Inhalten zu Verfügung – und diese Inhalte werden durch zahlreiche Umgebungen für Web-basierte Kommunikation ergänzt, zB durch Diskussionsforen, Email oder Chat (heute spricht man von social networking services)
  • „Appreciation of member-generated content“: Zusätzlich zu den bereits veröffentlichten Inhalten stellen virtuelle Communities Systemumgebungen für die Generierung und Verteilung von „member-generated“ content zur Verfügung (man sprach damals noch nicht - wie heute - von „user-generated“ content). In diesen Umgebungen können Community-Mitlieder ihre Erfahrungen mit anderen teilen und diese dann zu kollektiven Erfahrungen aggregieren – was wiederum mit einer breiteren Palette an Information einhergeht (heute spricht man von der "kollektiven intelligenz" und von "activity streams").
  • „Access to competing publishers and vendors”: Virtuelle Communities organisieren "Agenten" für ihre Mitglieder. Diese versuchen eine große Menge an hochqualitativen Inhalten zu aggregieren, inklusive Wettbewerber und andere (Produkt)optionen, um das Informationsangebot in der virtuellen Community zu maximieren. Damit sind die Mitglieder besser informiert und können effizientere (Kauf)entscheidungen treffen (heute spricht man von "social media manager", oder "collaboration manager").
  • „Commercial orientation“: Virtuelle Communities werden zunehmend als kommerzielle Unternehmen geführt werden. Solche haben das Ziel, Erlöse aus den in der Community zur Verfügung gestellten Ressourcen und Systemumgebunden zu generieren. Community Mitglieder werden die Marktmacht von Communities eben Wert schätzen und daher die Organisatoren (heute spricht man von Betreiber) der Communities dafür belohnen, dass sie ihnen diese Informationen zur Verfügung stellen (heute spricht man vom "ROI" von social media und von "monetarisierung").
Wenn Hersteller es nicht schaffen, Kunden zu virtuellen Communities zu konvertieren, dann wird es jemand anderer tun“ schreiben Hagel und Armstrong. Das Ergebnis dieser Bemühungen rund um die Etablierung virtueller Communities kennen wir, denn alles endete in der Dot-Com Blase, da es die wenigsten Unternehmen schafften, virtuelle Communities erfolgreich aufzubauen und zu monetarisieren.

Tim O’Reilly analysierte dann im Jahr 2005 in seinem berühmten Essay „What is Web 2.0? Design patterns and business models fort the next generation of software“, welche Eigenschaften erfolgreiche Web-Unternehmen wie Amazon, Ebay und Google ausgezeichnet haben und legte den Grundstein für die heutige Diskussion um Social Media und Enterprise 2.0.

Nun machen wir einen Schwenk in das Jahr 2012:
  • Heute spricht kaum mehr jemand von virtuellen Communities – dafür stehen soziale Netzwerke wie Facebook & co im Mittelpunkt. 
  • Heute stellen die großen sozialen Netzwerke ihren Mitgliedern zentralisiert Systemumgebungen zur Verfügung, um sich dort mit anderen rund um Themen, Produkte, etc. zu organisieren. 
  • Clevere Unternehmen schaffen es auch auf den sozialen Netzwerken, Fan-Communities um ihre Produkte und Dienstleistungen zu generieren. Facebook hat es den Unternehmen abgenommen, die Technologie für die Organisation der virtuellen Communities zu entwickeln - und so wurde der Aufbau von virtuellen Communities stark vereinfacht. 
  • Gerade diese (vermeintliche) Einfachheit hat dazu beigetragen, dass viele Unternehmen absolut konzeptlos im Aufbau ihrer "Facebook-Seiten" vorgehen und damit im Aufbau von Fan-Communities scheitern. Die Kunst im Aufbau einer virtuellen Communities liegt nämlich - wie so vieles - nicht in den technologischen, sondern in den sozialen Faktoren. 
  • Vermutlich nennt (all)es 2012 auch daher treffend social business ;-)

Viele der Parameter, welche Hagel und Armstrong schon im Jahr 1997 identifiziert haben, gelten auch noch heute. Nur in der „commercial orientation“ einer virtuellen Community scheinen sich die beiden Berater noch etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben, denn in den wenigsten Fällen werfen die virtuellen Communities von heute als abgekapselte Einheiten wirklich hohe Gewinne ab. Bis auf wenige Ausnahmen scheinen nur die Monetisierung durch Werbung sowie durch Verwertung von Nutzerdaten lukrativ zu sein.

Schließen möchte ich meinen Blogpost mit einer eigenen Definition der virtuellen Community:

 „Eine virtuelle Community entsteht, wenn sich Menschen auf computervermitteltem Wege mit einer hinreichenden Regelmäßigkeit treffen, sodass sie durch ihre Aktivitäten persönliche Beziehungen aufbauen und ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln.“

Wer sich noch eingehender mit der Thematik und vor allem mit der Theorie der virtuellen Communities und der sozialen Netzwerke befassen will, dem empfehle ich meinen Beitrag „(Virtuelle) Communities und Soziale Netzwerke“ im Buch „Web 2.0 in der Unternehmenspraxis“

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